Die Texte basieren auf dem Kapitel "Bewertung und Finanzierung von Versorgungsverpflichtungen" des Handbuchs Betriebliche Altersversorgung, zuletzt 2012 erschienen im C.F. Müller Verlag.
Der Barwert einer ungewissen Verpflichtung ist ein zentraler Begriff in der Pensionsversicherungsmathematik. Um diesen zu erklären, betrachten wir zunächst den Begriff des Zahlungsstroms. Eine Pensionsverpflichtung kann durch einen Zahlungsstrom dargestellt werden. Ein Zahlungsstrom besteht aus einer Reihe von zukünftigen Zahlungszeitpunkten, zu denen bestimmte Beträge gezahlt werden müssen. Die Höhe der Zahlungen sollte klar anhand der Pensionszusage festgelegt sein. Die Zeitpunkte der Zahlungen können anhand des vorgegebenen Zahlungsrhythmus in der Zusage bestimmt werden, zum Beispiel monatliche Rentenzahlungen oder eine Kapitalzahlung bei Erreichen der Altersgrenze.
Bei einer gewissen Verpflichtung sind sowohl die Zahlungszeitpunkte als auch die dazugehörigen Zahlungen fest vereinbart.
Der Wert einer gewissen Verpflichtung zu einem bestimmten Stichtag ergibt sich durch Zinseszinsrechnung: Jeder Zahlbetrag wird in einem ersten Schritt unter Berücksichtigung von Zins und Zinseszins auf seinen Wert zum Stichtag abgezinst. In einem zweiten Schritt werden alle abgezinsten Werte addiert, um den Barwert dieser Verpflichtung zu erhalten. Der ermittelte Wert zum Stichtag ist genau ausreichend, um die Verpflichtung zu erfüllen, wenn alle Annahmen korrekt sind. Dabei spielt die Annahme über den Zinssatz eine zentrale Rolle. Je höher der Zinssatz ist, desto stärker wird der Barwert durch die Abzinsung reduziert. Wenn dieser Barwert als Rückstellung für Verbindlichkeiten in der Bilanz eines Unternehmens verwendet wird, ist der Wert der Verpflichtung genau bestimmt. In diesem Fall spricht man von einem finanzmathematischen Barwert der Verpflichtung, da nur die Zinseszinsberechnung berücksichtigt wurde.
Eine ungewisse Verpflichtung – und um solche handelt es sich bei Pensionsverpflichtungen – ist durch eine Anzahl von möglichen, künftigen Zahlungsströmen definiert, von denen jeder eine gewisse Verpflichtung darstellt, bei dem alle Zahlungszeitpunkte und alle Zahlbeträge festgelegt sind.
Zum Bewertungsstichtag kann nicht festgelegt werden, welcher der Zahlungsströme der richtige ist, und daher bleibt dies zumindest zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss. Es ist jedoch bekannt, dass es eine Vielzahl möglicher Zahlungsströme für den Erfüllungsbetrag der ungewissen Verpflichtung gibt, und es wird davon ausgegangen, dass einer dieser Zahlungsströme in Zukunft realisiert wird.
Für einen männlicher Berechtigten mit Anspruch auf eine lebenslänglich laufende Rente von jährlich 1.000 €, zahlbar jeweils zum Anfang des Jahres ergibt sich entsprechend der Beispielperson im Beispiel Barwert und auf Basis der Richttafeln 2018 G von Klaus Heubeck mit einem Rechnungszins von 6 % p. a. ein Barwert von 11.133 €.
Da zum Stichtag nicht bekannt ist, welcher der möglichen Zahlungsströme in Zukunft eintreten wird, kann man nicht mit Sicherheit sagen, dass der Barwert genau ausreicht, um die ungewisse Verpflichtung zu erfüllen.
Dennoch hat der Barwert folgende Eigenschaften:
Der Barwert stellt also einen Betrag dar, der im Mittel ausreicht, die zukünftigen Verpflichtungen zu erfüllen. Falsch ist es jedoch, bei diesem Barwert vom wahrscheinlichsten Wert zu sprechen. Ein männlicher Berechtigter stirbt (vgl. Beispiel Barwert) mit der höchsten Wahrscheinlichkeit im Alter von 88 Jahren. Für diesen Fall braucht man im Alter 65 einen finanzmathematischen Barwert von 13.303 €, welcher deutlich über dem berechneten Barwert von 11.133 € liegt.
Es gibt eine alternative Beschreibung des Barwerts einer ungewissen Verpflichtung: Bei einer gewissen Verpflichtung reicht der finanzmathematische Barwert genau aus, um die Verpflichtung zu erfüllen, wenn die Rechnungsgrundlagen (insbesondere der Zinssatz) korrekt gewählt sind.
Nun stellt sich die Frage, ob es ein Modell gibt, bei dem auch bei einer ungewissen Verpflichtung der Barwert genau ausreicht, wenn die Rechnungsgrundlagen richtig gewählt sind. Tatsächlich gibt es ein solches Modell, bei dem der Barwert einer ungewissen Verpflichtung genau ausreicht, um die Verpflichtung zu erfüllen: Dies ist der Fall, wenn die Zahlungsbeträge, gewichtet mit den entsprechenden Wahrscheinlichkeiten, genau in Höhe dieser Wahrscheinlichkeiten eintreten. Dies wird als rechnungsmäßiger Verlauf bezeichnet. Zum Beispiel könnten bei einer einjährigen Sterbewahrscheinlichkeit von 1 % in einem Jahr von 1.000 Personen 10 Personen sterben, aber auch mehr oder weniger. Bei einem rechnungsmäßigen Verlauf ist nur bekannt, dass im Durchschnitt 10 Personen pro Jahr sterben werden. Man sagt, dass bei einem rechnungsmäßigen Verlauf 10 Personen sterben werden.
Versteht man also die in einem Barwert verwendeten Wahrscheinlichkeiten als Quoten in der Art, dass die mit den Wahrscheinlichkeiten gewichteten Zahlbeträge genau laut Wahrscheinlichkeit auftreten, dann spricht man von einem rechnungsmäßigen Verlauf.
Bei einem rechnungsmäßigen Verlauf, also wenn die Zahlungsbeträge gewichtet mit den entsprechenden Wahrscheinlichkeiten genau in Höhe dieser Wahrscheinlichkeiten eintreten, reicht der Barwert einer ungewissen Verpflichtung offenbar genau aus, um die Verpflichtung zu erfüllen. Die Verwendung des Begriffs "rechnungsmäßiger Verlauf" ist eine hilfreiche Methode, um versicherungsmathematische Zusammenhänge präzise darzustellen. Es bietet eine prägnante Zusammenfassung der oben erläuterten Zusammenhänge, ist leicht verständlich und anschaulich.