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Unter einem Finanzierungsverfahren verstehen wir im Rahmen dieses Artikels ein mathematisches Verfahren zur Verteilung des Aufwands für eine Verpflichtung auf einen Finanzierungszeitraum.
Anhand des Finanzierungszeitraums lassen sich bekannte Verfahren in zwei Kategorien unterteilen. Werden bereits im Zeitraum von der Entstehung der Verpflichtung bis zur ersten Fälligkeit, spätestens aber bei Eintritt des Versorgungsfalls, Vermögensmittel bereitgestellt, spricht man von einem Deckungsverfahren oder Kapitaldeckungsverfahren. Spezialfälle hiervon sind das Anwartschaftsdeckungsverfahren und das Rentenwertdeckungsverfahren. Beide Verfahren finden Anwendung in der betrieblichen Praxis.
In eine zweite Kategorie fallen alle diejenigen Finanzierungsverfahren, bei denen vor Eintritt des Leistungsfalls keinerlei Aufwendungen zur Finanzierung der entsprechenden Verpflichtung getätigt werden. Stattdessen wird bei diesen sogenannten deckungslosen Finanzierungsverfahren abgewartet, ob und in welcher Höhe Zahlungsverpflichtungen zu begleichen sind. Bekannt ist diese Art von Vorgehen auch von (Ausgabe-)Umlageverfahren, insbesondere aus der Sozialversicherung.
Charakteristisch für das Umlageverfahren ist, dass in jeder Periode die Leistungsanwärter für die Leistungsempfänger aufkommen. Die Ausgaben werden also stets durch aktuelle Einnahmen bestritten. Auf eine Ansammlung von Vermögensmitteln oder Rückstellungsbildung während der Anwartschaftsphase wird – evtl. mit Ausnahme des Aufbaus einer kleinen Liquiditätsreserve – vollständig verzichtet.
Am Beispiel der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland bedeutet das, dass die Renten der aktuellen Leistungsempfänger aus den monatlichen Beiträgen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und deren Arbeitgeber gezahlt werden. Man spricht daher hierbei auch von einem Generationenvertrag zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern.
Für eine Periode ergibt sich die von den Leistungsanwärtern zu tragende Umlage mathematisch als:
Die auf den einzelnen Leistungsanwärter entfallende Umlage ergibt sich gewöhnlich als Prozentsatz (Beitragssatz, Umlagesatz) des versorgungsfähigen Entgelts des Anwärters. Die Höhe des Beitragssatzes hängt von den insgesamt anfallenden Leistungsverpflichtungen und den versorgungsfähigen Entgelten der Periode ab und damit von der durchschnittlichen Leistungshöhe, dem durchschnittlichen versorgungsfähigen Entgelt und den Anzahlen der Leistungsempfänger und der Anwärter.
Wird mit einem derartigen Finanzierungsverfahren neu begonnen, fehlt zunächst für einen längeren Zeitraum ein Bestand aus Leistungsempfängern. In dieser Phase ist der Umlagesatz Null oder - wegen anfallender Verwaltungskosten und ggf. einer aufzubauenden Reserve - fast Null. Sobald die Begünstigten der ersten Generation Leistungsempfänger werden, erhalten sie also Leistungen ohne dafür in einem wesentlichen Umfang Beiträge geleistet zu haben. So entsteht für die nachfolgende Generation eine inhärente Schuld, die diese mit ihren Beiträgen begleicht und damit wiederum Ansprüche gegenüber der nächsten Generation aufbaut.
Ein Finanzierungssystem dieser Art ist auf einen anhaltenden und ausreichend starken Fluss an Neuzugängen von Beitragszahlern angewiesen, um die fälligen Zahlungen leisten zu können. Eine Umlagefinanzierung funktioniert nicht, wenn die Anzahl der Beitragszahler ungewiss ist.
In Deutschland werden die gesetzlichen Sozialversicherungsleistungen (gesetzliche Renten-, Kranken-, Arbeitslosen-, Unfall- sowie Pflegeversicherung) über das Umlageverfahren finanziert. Bis auf geringe Nachhaltigkeitsrücklagen[2] (gem. § 216 SGB VI) sind keine Deckungsmittel zur Finanzierung der künftig fälligen Leistungen vorhanden. Mit Hilfe der Nachhaltigkeitsrücklagen werden Zahlungsschwierigkeiten bei überraschendem Sinken der Einnahmen oder Steigen der Ausgaben vermieden.
Insbesondere die gesetzliche Rentenversicherung wird im klassischen Umlageverfahren finanziert. In den letzten Jahren sind jedoch über den Zuschuss des Bundes zur gesetzlichen Rentenversicherung auch erhebliche Steuermittel zur Finanzierung der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung verwendet worden, u.a. weil die Leistungen der gesetzliche Rentenversicherung auch gesamtgesellschaftliche Aufgaben (z.B. die Kindererziehung) honorieren soll. Die Erwerbstätigen werden durch den auf sie entfallenden Anteil an diesen Steuermitteln zusätzlich belastet. Werden diese Zahlungen statt aus Steuern durch eine erhöhte Staatsverschuldung finanziert, entsteht eine andere Form der inhärenten Schuld[3].
Eine Art Hybridsystem aus Umlageverfahren und Anwartschaftsdeckungsverfahren finden wir im Abschnittsdeckungsverfahren, wobei der Schwerpunkt auf den umlagefinanzierten Elementen liegt. Im Gegensatz zum Umlageverfahren, das sich gewöhnlich auf eine Periode von der Länge eines Jahres bezieht, werden beim Abschnittsdeckungsverfahren mehrjährige Perioden betrachtet. Für jede Periode wird die erwartete Höhe der Verpflichtung für die gesamte Periode bestimmt; diese soll durch einen Kapitalstock abgesichert sein. Die Umlage wird so bestimmt, dass sie unter Berücksichtigung der erwarteten biometrischen Entwicklung und von Zinserträgen ausreicht, um die erwarteten Leistungen dieser Periode zu decken. Wir sprechen bei einer solchen Periode auch von einem Deckungsabschnitt. Die Länge eines Deckungsabschnitts kann dabei je nach Versorgungseinrichtung stark variieren und etwa 5, 10 oder 20 Jahre betragen. Innerhalb eines Deckungsabschnittes kann es dabei zu Überdeckungen oder Unterdeckungen kommen. Insbesondere wenn die Möglichkeit einer Unterdeckung nicht ausgeschlossen werden kann, wird bei der Beitragsermittlung eine gewisse Schwankungsreserve mit einkalkuliert.
Für das Abschnittsdeckungsverfahren gilt
wobei den Barwert aller Umlagen im Deckungsabschnitt , den Barwert aller Leistungen (inkl. Verwaltungskosten) im Deckungsabschnitt , den Barwert der gewünschten Reserve zum Ende des Deckungsabschnitts und das Anfangsvermögen bezeichnen. Die Barwerte werden versicherungsmathematisch unter Berücksichtigung von Zins und Biometrie auf den Zeitpunkt des Beginns des Deckungsabschnitts ermittelt. Dies ist inbesondere bei längeren Deckungsabschnitten relevant.
Wie beim Umlageverfahren ist auch beim grundsätzlich ähnlichen Abschnittsdeckungsverfahren die Höhe des Beitragssatzes maßgeblich vom zahlenmäßigen Verhältnis der Beitragszahler zu den Leistungsempfängern beeinflusst. Je länger der Deckungsabschnitt ist, desto gewichtiger ist zudem die Struktur des Neuzugangs (Verteilung nach Alter, Geschlecht, versorgungsfähiges Entgelt) für die Höhe des Beitragssatzes. In der Regel geht man bei der Bestimmung des Umlagesatzes allerdings ab einem bestimmten Zeitpunkt von einem konstanten Verhältnis der Anzahlen von Aktiven und Rentnern aus (Beharrungszustand).
Mit der Rentenreform 1957[4] wurde das Abschnittsdeckungsverfahren bei der gesetzlichen Rentenversicherung eingeführt und ersetzte von da an das Kapitaldeckungsverfahren. 12 Jahre später wurde es durch das Umlageverfahren abgelöst[5].
Eine weite Verbreitung findet dieses Finanzierungssystem heute noch bei den öffentlichen Versorgungseinrichtungen. Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) finanziert ihre Leistungen über ein modifiziertes Abschnittsdeckungsverfahren[6]. Die Länge des Deckungsabschnitts beträgt zehn Jahre. Kommunale Zusatzversorgungskassen der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes sowie kirchliche Zusatzversorgungskassen (ZVK) unterliegen dem jeweiligen Landesrecht. Dies führt zu einer Vielzahl an unterschiedlichen Ausprägungen der Finanzierungsverfahren. Zahlreiche ZVK orientieren sich wiederum an der Mustersatzung der Arbeitsgemeinschaft kommunale und kirchliche Altersversorgung (AKA).
Umlageverfahren sind unterschiedlichen Risiken unterworfen. Als eines der größten sozialen Risiken lässt sich der demographische Wandel identifizieren. Dieser macht sich insbesondere in der Altersvorsorge bemerkbar. Wie alle entwickelten Volkswirtschaften ist auch Deutschland einem Prozess der doppelten Alterung unterworfen. Zum einen steigt in der langfristigen Betrachtung die durchschnittliche Lebenserwartung der Gesellschaft[7], zum anderen sinken die Geburtenzahlen[8]. Die steigende Lebenserwartung erfordert bei festem Renteneintrittsalter ein Absenken der Leistungen im Alter, eine Erhöhung des Beitragssatzes oder eine entsprechende Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Das rückläufige Arbeitskräftepotenzial, verursacht durch sinkende Geburtenzahlen, führt zu höheren Beiträgen. In Form der kapitalgedeckten Riester- und Rürup-Rente hat der Gesetzgeber auf diese Problematik der umlagefinanzierten Altersversorgung reagiert.
Als weitere mögliche Risiken seien außerdem sinkende Lohnquote und Massenarbeitslosigkeit erwähnt.
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Die Texte basieren auf dem Kapitel "Bewertung und Finanzierung von Versorgungsverpflichtungen" des Handbuchs Betriebliche Altersversorgung, zuletzt 2012 erschienen im C.F. Müller Verlag. ↩︎
bis Ende 2003 als Schwankungsreserve bezeichnet ↩︎
vgl. Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) vom 23.2.1957 ↩︎
vgl. Drittes Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (3. RVÄndG) vom 28.07.1969 ↩︎
vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/_inhalt.html ↩︎
vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Geburten/_inhalt.html ↩︎